Fall Welby
20. Dezember 2006
Italienisches Gericht lehnt Forderung nach Sterbehilfe ab
Ein römisches Gericht hat die Forderung eines Schwerstkranken nach Abschaltung seines Beatmungsgerätes zurückgewiesen. Die zuständige Zivilkammer befand am Wochenende, der prinzipiell berechtigte Wunsch nach Behandlungsabbruch sei von der italienischen Rechtsordnung nicht gedeckt.
Das Gericht appellierte an das Parlament, die Gesetzeslücke zu schließen. In rund 50 Städten Italiens sowie im Ausland kam es laut Medienberichten zu Solidaritätsaktionen für den Kranken.
In dem Fall geht es um den an fortschreitender Muskelschwäche leidenden Piergiorgio Welby. Welby hatte im September mit einem offenen Brief an Staatspräsident Giorgio Napolitano eine landesweite Debatte um Sterbehilfe und Patientenverfügungen ausgelöst. Der vor 30 Jahren erkrankte Mann, der über einen Spezialcomputer mit seiner Umwelt kommunizieren kann, hatte um die Legalisierung der Euthanasie gebeten.
Richterin Angela Salvio räumte in Urteilsbegründung ein, das Verlangen nach Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen stehe im Einklang mit den Prinzipien der Verfassung, die den Schutz der Personenwürde festschreibe. Die Forderung sei aber „nicht konkret von der Rechtsordnung gedeckt“. Auch fehle eine Definition, wann eine Behandlung als vergeblich anzusehen sei. Politiker sollten eine Gesetzesinitiative zur Sterbehilfe unternehmen, mahnte die Richterin. Eine rechtliche Regelung müsse der gewachsenen sozialen und kulturellen Sensibilität bei der Therapie von Kranken in der letzten Lebensphase Rechnung tragen und zugleich Missbräuchen vorbeugen. Salvio kritisierte, gegenwärtig sei die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch von den persönlichen ethischen, religiösen und beruflichen Überzeugungen des jeweiligen Arztes abhängig. Welby kann gegen das Urteil binnen 15 Tagen Berufung einlegen.
Politiker nahmen das Urteil unterschiedlich auf. Weite Teile des Regierungslagers sprachen sich für eine Schließung der Gesetzeslücke und gleichzeitig gegen aktive Sterbehilfe aus. Auch Vertreter der Mitte-Rechts-Parteien zeigten sich zufrieden mit der Entscheidung, die die Debatte ins Parlament verlagere. Dort werde ein Gesetz zur Zulassung aktiver Sterbehilfe keine Chance haben.
Die den Linksdemokraten angehörende Gesundheitsministerin Livia Turco unterstrich in einem Interview der italienischen Tageszeitung „La Stampa“ vom Sonntag, Vorrang müsse der Patientenwille haben. Für eine künftige Regelung seien sowohl ein Gesetz als auch Leitlinien denkbar. Sie will am Mittwoch Beratungen über neue Gesetzesregelungen aufnehmen.
Vertreter der laizistischen Radikalen Partei (PR) erklärten sich dagegen entschlossen, auf eine Abschaltung der Apparate zu drängen. PR-Gründer Marco Pannella nannte die richterliche Entscheidung ein „Urteil, das einen gequälten und toten Körper noch weiter tötet“. Der Anwalt der Familie Welby, Vittorio Angiolini, nannte es inakzeptabel, dass ein Mediziner nicht zum Abbruch einer aussichtslosen Therapie gezwungen werden könne.
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