Demenz-Kaffee
Angehörigen- und Betroffenen-Café (sog. AB-Cafe)
An jedem ersten Mittwoch im Monat um 16:00 Uhr findet in der Tagesklinik der Geriatrie des Prosper-Hospitals in Recklinghausen, Mühlenstraße, ein Treffen der Angehörigen von Demenz-Kranken statt.
Es heißt "Angehörigen- und Betroffenen Café", kurz Demenz-Café genannt.
Diese Gruppe wird regelmäßig von Frau Simone Henke vom Diakonischen Werk, Hohenzollernstraße, betreut.
Es dient dazu, die Angehörigen von Demenz- und Alzheimer-Erkrankten in ihrer Aufgabe zu unterstützen, ihnen einen Nachmittag der Ablenkung oder auch der Information für ihre Aufgabe zu geben. Während der Zeit des Kaffeetrinkens wird dafür gesorgt, daß die angehörigen Kranken in der Tagesklinik betreut werden.
Am 01.02.2006 hatte die Gruppe Herrn Christoph Odenkirchen eingeladen.
Herr Odenkirchen leitet seit 13 Jahren die beiden Altenheime des Caritas-Verbandes, Vinzenzheim, Börster Weg (neben der Raphael-Schule) und das Hedwigsheim, Im Romberg.
Ziel des Vortrages war es, das Vinzenzheim näher vorzustellen. Seit 13 Jahren wird dieses Heim speziell für die Betreuung von Demenz- und Alzheimer-Erkrankten sowie Schwerst-Pflegebedürftigen betrieben. Dort sind z. Z. 72 Bewohner in 6 Gruppen.
Es wird dort angestrebt, "soviel Normalität wie möglich" zu leben. Das sei das Motto für Bewohner und Mitarbeiter.
Es sei eine "geschlossene" Einrichtung, um zu gewährleisten, daß die Be-wohner ihren Bewegungsdrang im ganzen Haus ausleben können. Sie könnten dort laufen, rennen, Stockwerke rauf und runter hasten usw. Davon sei nur der Bereich der Küche ausgenommen.
Herr Odenkirchen schilderte anschaulich, daß es für ihn "normal" sei, daß er in seinem Büro regelmäßig "Gäste" habe.
Man stehe mehrmals am Tag freundlich hinter ihm und frage ihn, was er gerade tue, warum er das mache usw.
Ziel der gesamten Einrichtung sei es, den Alzheimer-Erkrankten möglichst ungehindert tun zu lassen, was er möchte. Der Bewohner solle sich dort zu Hause fühlen. Dies gelinge auch sehr gut. Dies sei teilweise für die Angehörigen sogar ein Problem, weil der Kontakt zu ihrem neuen "Zuhause" intensiver sei als zu ihrer bisherigen Familie, zu Partnern oder Kindern.
Essen und Trinken seien im Haus ein Riesenproblem. Der betroffene Kranke weiß ja nicht was das ist. Er muß vorgemacht bekommen, daß man Speisen oder Getränke zum Munde führt und nicht etwa auf dem Tisch "herumsaut".
Es werde Wert darauf gelegt, daß in der Einrichtung selbst gekocht wird. Und zwar komplett. Mittags gebe es ein sogenanntes Wahlmenü. Die betroffenen Kranken müßten sehen, was es zu essen gebe. Dies werde dann serviert.
Die Betroffenen könnten schließlich keine Speisekarte lesen. Man gehe gemeinsam – in kleinen Gruppen – zum Essen. Hier sei besondere Geduld und Einfühlungsvermögen erforderlich. Übrigens sei es so, daß die Alzheimer-Erkrankten die Speisen und Getränke auch anders schmecken, also wahr-nehmen.
Der süße Geschmack bleibe als letztes und spiele daher eine besondere Rolle. Viele Alzheimer-Erkrankte seien ausgesprochene Süßigkeitsfanatiker, essen dauernd Schokolade oder andere Süßigkeiten.
Ein riesiges Problem sei die Beseitigung des Tag- und Nacht-Rhythmus´, also das Abwechseln von Wachen und Schlafen. Der Alzheimer-Erkrankte habe die Angewohnheit, tagsüber zu schlafen. Er wisse dann die Umgebung in ihren gewohnten Bahnen um sich herum vorgehen. Er liebe diese Ruhe und das vertraute Treiben. Nachts dagegen sei er "auf der Suche".
Sicherheit und Orientierung könnten ihm aber nur Menschen geben. Er kann also nur durch sämtliche Formen von Sozialkontakten behütet und geleitet werden.
Eine wichtige Rolle bei gemeinschaftlichen Veranstaltungen der Bewohner sei es, Lachen zu erzeugen und diese mit Musik zu fangen. Herr Christoph Odenkirchen schilderte begeistert, wie man mit Musik beinahe jeden Bewohner erreiche.
Man habe regelmäßig auch Aufführungen von klassischer Musik und es sei keine Seltenheit, daß die sonst total hibbeligen Bewohner bei klassischer Musik bis zu einer Stunde lang konzentriert lauschen und jegliche Motorik in dieser Zeit ruht.
Überhaupt sei es wichtig, nonverbal, also durch Verhalten und Gesten auf die Bewohner einzuwirken.
Druck, also jegliche Form von "hartem Auftreten", erzeuge lediglich Widerstand. Der Verwirrte sitze aber immer "am längeren Hebel". So könne es auch durchaus vorkommen, daß der Eingangsbereich blockiert sei, weil ein Bewoh-ner "raus will" und man mit ihm reden muß.
Das sei nicht immer einfach, denn für den Bewohner sei das häufig äußerst wichtig. So habe man einen Bewohner gehabt, der erzählte, er habe einen Einberufungsbefehl. Er müsse unbedingt einrücken, sonst werde er stand-rechtlich erschossen. Er haute dann mit seinem Krückstock mehrfach auf die Tür. Manchmal wird auch gekratzt und gebissen.
Andere vollführen einen Striptease, ziehen sich also nackt aus und laufen über den Flur.
Wörtlich: "Es gibt nichts, was es nicht gibt".
Gegenüber den ständigen Ausziehgewohnheiten wußte man sich einmal nur zu helfen, in dem man ihm einen Overall anzog mit dem Reißverschluß nach hinten...
Teilnehmer der Runde, deren Angehörige im
Vinzenzheim sind, bestätigten, daß die Kranken dort gut aufgehoben seien. Man selbst könne das überhaupt nicht leisten. Es herrsche dort ein sehr angenehmes Klima. Das Personal sei sehr fachkundig und gehe bewunderungswürdig gelassen mit den Alzheimer-Erkrankten um. Die Mitarbeiter sind meist langjährig und kontinuierlich in der Einrichtung. E
ntgegen den üblichen Presseberichten über die hohe Mitarbeiterfluktuation in Altenheimen, verliere man Mitarbeiter praktisch nur wegen Schwangerschaft oder weil sie in Rente gingen.
Herr Odenkrichen konnte ergänzen, daß der Personalschlüssel verhältnismäßig günstig sei.
Es sei vom Gesetzgeber vorgeschrieben, daß auf 2 Bewohner 1 Betreuer komme.
Man selbst habe für die 72 Bewohner 44 Pflegekräfte und darüber hinaus Sozialarbeiter.
Mit dem Medizinischen Dienst und der Pflegekasse sei ein besonderes Abkommen getroffen.
Die Geschlechtszugehörigkeit der Heimbewohner weicht von der in normalen Altenheimen ab. Es sind viele Männer dort, teilweise bis zu 60 %. Die Bewohner sind im Durchschnitt sehr viel jünger, weil die Alzheimer-Erkrankung häufig schon ab dem 50. Lebensjahr einsetzt.
Dementsprechend sind die Bewohner körperlich völlig fit.
Originalton Christoph Odenkirchen:
"Manche könnten wir zum Senioren-Marathon schicken."
Der Bewegungsdrang, gerade auch nachts, erzeugt immer wieder neue Probleme. Teilweise komme man nicht umhin, die Bewohner zumindest stundenweise zu fixieren.
Da die Einrichtung schon von Hause aus eine Einschränkung der Freizügigkeit darstelle, muß der Bewohner so gut wie immer einen vom Vormundschaftsgericht bestellten Betreuer haben. Christoph Odenkirchen erklärte, eine Vorsorgevollmacht könne dies nicht ersetzen. Hierzu gebe es neue Rechtsprechung.
(Auf meine Nachfrage erhalte ich keine konkrete Anwort. Wir werden das klären !)
Fazit:
Ein sehr informativer Nachmittag, den ich mir extra frei gemacht hatte.
Artikel aus 2006