Leben in Alter und Demeinz
"Es gibt auch gute Tage"
Velbert.
Seit 41 Jahren ist Walter ihr Ehemann. Eine lange Zeit, nach der man so gut wie alles über einander weiß. Doch immer öfter erkennt Brunhilde Gongoll (67) ihren Walter nicht mehr wieder. Krankheit hat aus dem vertrauten Mann einen Fremden gemacht: Abschied auf Raten.
Arme, die sie früher heranzogen, stoßen sie weg. Hände, die sie früher streichelten, verkrampfen sich um ihre Gelenke. Immer mehr entfernt sich ihr Mann, bald wird er ihr völlig fremd sein.
Drei Hirninfarkte hat Walter Gongoll erlitten, die Ärzte sprachen erst von der Parkinson-Krankheit, nun auch von Alzheimer.
Zwölf Jahre pflegt Brunhilde Gongoll ihren Mann schon zu Hause. An Urlaub war in all der Zeit nicht zu denken.
Zwölf Jahre, die an ihr genagt, sie aber auch stark gemacht haben. "Anfangs hat mich seine Krankheit selbst krank gemacht", sagt die Velberterin.
Sie hatte Herzprobleme, litt unter Tinnitus: weil sie den stückweisen Verlust ihres Lebenspartners, dessen Erinnerungen nach und nach verblassen, nicht verkraftete; weil er den Becher mit Saft umkippte; weil er ihr den Tee ins Gesicht spuckte; weil er nachts mit dem größten Brotmesser im Haus plötzlich vor ihrem Bett stand; weil er sich einbildete, Einbrecher gehört zu haben.
Brunhilde Gongoll hat viele Nächte durchgeweint.
Sie hatte aber das Glück, bei ihrem Hausarzt ein offenes Ohr zu finden. Er half ihr, die Realität anzunehmen. Man müsse Demenz als Krankheit anerkennen, sagte er. "Wer das nicht akzeptiert, kann damit nicht fertig werden", sagt sie. Fast vier Jahre habe sie gebraucht. Nun hat sie gelernt, geduldig zu sein, Walter zu beruhigen, ohne laut zu werden.
Statt ihren Mann mit seinen Defiziten zu konfrontieren, geht sie auf ihn ein, fördert seine Stärken. Zuwendung statt Bevormundung. Das kann den Verlauf der Krankheit verzögern, sagten ihr die Ärzte.
Als Walter Gongoll einmal glaubte, einen Elefanten auf der Straße zu sehen, entgegnete sie daher nur: "Ich kann ihn von meinem Platz aus nicht sehen." Das Tier tanze gerade zu Musik auf der Straße, berichtete Walter Gongoll: "Er kommt ja aus dem Zirkus." Hätte sie ihm Spinnerei unterstellt, wäre ihr Mann wohl aggressiv geworden oder hätte sie mit Missachtung gestraft.
"Es gibt auch gute Tage", sagt Brunhilde Gongoll.
Tage, die ihr Kraft geben. Tage, an denen ihr Mann aus der trüben Tiefe der Demenz auftaucht. Wenn er seine Brunhilde umarmen will und die Augen vor Freude strahlen.
"Ein Lächeln, ein Blick, und alles ist vergessen", sagt die zierliche Frau.
Brunhilde Gongoll ist durch die Krankheit ihres Mannes auch selbst stark geworden, sie hat sich informiert, ihre Rechte bei der Krankenkasse erkämpft.
In einer Gesprächsgruppe Betroffener erfuhr sie, dass es andere noch schwerer haben, dass sie selbst Trost spenden kann. Einmal in der Woche entlastet seit kurzem zudem das Haus der Senioren die Rentnerin.
Dann leistet Bettina Hüser Walter Gongoll drei Stunden lang Gesellschaft. Walter Gongoll mag seine ehrenamtliche Betreuerin und seine Frau genießt die "Freizeit", in der sie endlich einmal ohne Sorge die Wohnung verlassen kann.
Zeit für sich selbst - das musste sie erst wieder lernen. Neulich wollte sie Schuhe kaufen. "Aber ich wusste gar nicht mehr, was in Mode ist." Da ist ihr bewusst geworden, dass sie in den letzten zwölf Jahren nur noch funktioniert hat.
chuhe kaufte sie nicht. "Anfangs hat mich seine Krankheit selbst krank gemacht."
WAZ vom 13.12.2005 von Christoph van Bürk
Lesen Sie auch: