Pflichtteilsentziehung bleibt Ausnahme
Eltern dürfen Kinder nur in Extremfällen komplett enterben
Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts darf den Kindern der so genannte Pflichtteil etwa dann entzogen werden, wenn sie ihre Eltern misshandelt oder eine schwere Straftat gegen sie begangen haben.
Eine bloße Entfremdung oder ein familiäres Zerwürfnis reicht dagegen nicht, um diesen grundsätzlich zwingenden Erbanspruch naher Verwandter im Testament auszuschließen, heißt es in der veröffentlichten Grundsatzentscheidung.
Nach den Worten der Ersten Senats ist das - unter Experten zunehmend umstrittene - Pflichtteilsrecht mit dem Grundgesetz vereinbar. (Aktenzeichen: 1 BvR 1644/00 u. 188/03 - Beschluss vom 19. April 2005)
Damit hoben die Karlsruher Richter ein spektakuläres Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln auf, das einem Sohn - der seine eigene Mutter umgebracht hatte - den Pflichtteil an ihrem Erbe zugesprochen hatte. Der psychisch kranke Mann hatte seine Mutter schon mehrfach misshandelt, woraufhin sie ihn enterbte. Aus Wut über seine bevorstehende Einweisung ins Landeskrankenhaus erschlug er seine Mutter, zerstückelte die Leiche und versteckte die Leichenteile im Wald.
Weil er bei der Begehung der Tat nicht schuldfähig war, gewährte ihm das OLG trotz der Enterbung den Pflichtteil. Nach den Worten des Ersten Senats unter Vorsitz des Gerichtspräsidenten Hans- Jürgen Papier kommt aber eine Entziehung des Pflichtteils bereits wegen der früheren - vorsätzlichen - Misshandlungen in Betracht. Das OLG muss den Fall nun erneut prüfen.
In einem zweiten Verfahren sprach das Gericht dagegen dem Sohn eines mit 85 Jahren gestorbenen Mannes den Pflichtteil zu. Der kranke Vater hatte seinen Sohn enterbt, weil dieser ihm in den letzten Jahren vor seinem Tod jeglichen Kontakt mit dem Enkel verweigert hatte. Aus Sicht der Verfassungsrichter setzt das Pflichtteilsrecht der Verfügungsfreiheit des Erblassers Grenzen, seine Kinder aus Ärger oder Verzweiflung durch Enterbung zu «bestrafen». Der Senat hält es für fraglich, ob der Gesetzgeber - wie verschiedentlich vorgeschlagen - den Pflichtteilsentzug durch eine «Zerrüttungsklausel» erleichtern dürfte.
Das Grundgesetz - die Erbrechtsgarantie und der Schutz der Familie sichern den Kindern grundsätzlich ein Pflichtteilsrecht zu, heißt es in dem Beschluss. Als Ausdruck einer «Familiensolidarität» solle es den Nachkommen über den Tod der Eltern hinaus eine ökonomische Basis sichern - und zwar unabhängig vom Bestehen eines konkreten Bedarfs. Allerdings deuteten die Richter an, dass der Gesetzgeber möglicherweise Spielraum für eine Absenkung des Anspruchs habe.
Der Pflichtteil - die Hälfte des gesetzlichen Erbteils - steht den Kindern, Ehegatten und Eltern des Erblassers grundsätzlich auch dann zu, wenn sie im Testament enterbt werden. Sein Entzug ist nur bei bestimmten schwerwiegenden Verfehlungen zulässig.
Bundesverfassungsgericht ( Aktenzeichen: 1 BvR 1644/00 u. 188/03 )
( dpa - Meldung vom 03.05.2005)