Aus dem Orient: Das zwölfte Kamel
Um "Mediation im Erbrecht" ist es ruhig geworden.
Dagegen sagte man den Rechtsgelehrten im Orient schon immer eine sprichwörtliche Weisheit nach.
Das "salomonische Urteil" kommt aus dieser Region.
Der Geschichten, die das Leben über die Ungleichbehandlung von Kindern beim Erbe schreibt, sind viele. Salomonische Lösungen sind eher selten. Eine von ihnen lautet so:
D a s z w ö l f t e K a m e l
Ein reicher Beduine hatte die Aufteilung seiner Kamele unter seine drei Söhne testamentarisch in der Weise geregelt, daß der älteste die Hälfte, der zweite ein Viertel und der jüngste ein Sechstel erhalten sollten.
Beim Tode des Vaters waren leider nur noch elf Kamele vorhanden, und es entstand Streit über die Teilung.
Der weise Richter stellte, um den Streit zu schlichten, eines seiner Kamele zur Verfügung.
Nunmehr war die Teilung leicht:
Der erste Sohn erhielt sechs Kamele, der zweite drei und der letzte zwei.
Verblüffenderweise blieb ein Kamel, eben das zwölfte des Richters, übrig und konnte diesem zurückgegeben werden.
Der Richter freilich war nicht verblüfft; denn er war ein guter Rechner und hatte sofort erkannt, daß der Vater nicht das ganze Erbe verteilt hatte, sondern nur elf Zwölftel.
Das erklärt alles relativ einfach, allerdings mit einem kleinen Trick, daß mit Hilfe des richterlichen Kamels das ganze Erbe einschließlich des Zwölftels entgegen dem insofern unvollständigen Testament verteilt wurde und jeder etwas mehr erhielt, als der Vater vorgesehen hatte.
Es war also gelungen, das Ungemach des nicht vollkommen verteilten Erbes mit einer kleinen rechnerischen Ungenauigkeit im Wege des "corriger de la fortune" zu beseitigen.
nach:
Sendler, NJW-Sonderheft f. Hermann Weber, 2001, S. 65