Fräulein Else, Arthur Schnitzler
In Schnitzlers Erzählung „Fräulein Else“
erscheint in dem inneren Monolog des jungen Mädchens der Vater,
ein leichtfertiger, leichtlebiger Rechtsanwalt, der Mündelgelder unterschlägt.
Der „Prozeß Erbesheimer“, der ihm Hunderttausend bringen soll,
wenn er durch seine Geschicklichkeit gewonnen ist,
erscheint als unsicherer Wechsel auf die Zukunft – zum wievielten Mal?
Von Dorsday, ein reicher Freund der Familie, der mit einem Geldbetrag helfen könnte,
wäre dazu bereit, wenn ihm die in seinem Hotel wohnende Else zu Willen wäre...
Das Verhängnis nimmt seinen Lauf;
was Vater und Mutter an sittlicher Entscheidung verdrängen,
wird der Tochter aufgeladen und treibt sie in den Tod.
Zuvor malt sie sich aus, sie werde ein Testament errichten.
Im Geiste vererbt und vermacht sie so mancherlei...:
"Aber ich werde einen Brief hinterlassen mit testamentarischer Verfügung:
Herr von Dordsday hat das Recht, meinen Leichnam zu sehen.
Meinen schönen nackten Mädchenleichnam.
So können Sie sich nicht beklagen, Herr von Dordsday,
dass ich Sie übers Ohr gehauen habe. Sie haben doch was für Ihr Geld.
Dass ich noch lebendig sein muss, das steht nicht in unserm Kontrakt.
O nein. Das steht nirgends geschrieben.
Also den Anblick meines Leichnam vermache ich dem Kunsthändler Dorsday,
und Herrn Fred Wenkenheim vermache ich mein Tagebuch
aus meinem siebzehnten Lebensjahr – weiter habe ich nicht geschrieben -,
und dem Fräulein bei Cissy vermache ich die fünf Zwanzigfranksstücke,
die ich vor Jahren aus der Schweiz mitgebracht habe. S
ie liegen im Schreibtisch neben den Briefen.
Und Bertha vermache ich das schwarze Abendkleid.
Und Agathe meine Brüder.
Und meinem Vetter Paul, dem vermache
ich einen Kuss auf meinen blassen Lippen.
Und der Cissy vermache ich mein Rakett, weil ich edel bin.
Und man soll mich gleich hier begraben in San Martino di Castrozza
auf dem schönen kleinen Friedhof.
Ich will nicht mehr zurück nach Hause. Auch als Tote will ich nicht mehr zurück.
Und Papa und Mama sollen sich nicht kränken,
mir geht es besser als ihnen.
Und ich verzeihe ihnen. Es ist nicht schade um mich. –
Haha, was für ein komisches Testament. Ich bin wirklich gerührt.
Wenn ich denke, dass ich morgen um die Zeit,
während die anderen beim Dinner sitzen, schon tot bin ? –
Die Tante Emma wird natürlich nicht zum Dinner herunterkommen
und Paul auch nicht.
Sie werden sich auf dem Zimmer servieren lassen.
Neugierig bin ich, wie sich Cissy benehmen wird.
Nur werde ich es leider nicht erfahren.
Gar nichts mehr werde ich erfahren.
Oder vielleicht weiß man noch alles solange man nicht begraben ist?
Und am Ende bin ich nur scheintot.
Und wenn der Herr von Dordsday an meinen Leichnam tritt,
so erwache ich und schlage die Augen auf,
da lässt er vor Schreck das Monokel fallen..."
Die Erzählung ist - blendend im Wienerischen Tonfall -
gelesen von Senta Berger -
als Hörbuch erschienen.