Gisbert Bultmann
Rechtsanwalt & Notar a.D.
 

  
 
 

 Hl. 3 König

 
  
  
 

Am Fest der Heiligen Drei Könige 1977 verfaßt eine 71-jährige unverheiratete und kinderlose Dame ein Testament zugunsten ihrer Zwillingsschwester und zettelt damit - oh, hätte sie es nur geahnt - Krach unter den Bedachten an.

 

Sie verteilt nämlich - natürlich in bester Absicht  - ihre gesamte Habe

an diesen und jenen, ohne zu klären, wer Erbe wird, und begeht damit einen der

 

Kardinalfehler  von Laientestamenten.

 

Anschließend weiß kein Mensch genau, wer Erbe ist und wer (nur) Vermächtnisnehmer.

 

Um genau zu sein:

 

Ich hätte schon gewußt, was die Dame will... Nur, da sie sich ungenau ausgedrückt hatte, gab es Angehörige, die eine andere  - ihnen günstigere Auslegung anstrebten. Und die finden immer einen Anwalt, der diese Ansicht teilt....

 

Also ging ein Prozeß durch drei Instanzen - bis zum Bayerischen Obersten Landgericht, wo man sich der Auslegung des Testaments nach allen Regeln der erbrechtlichen Kunst annahm.

 

Der § 2087 BGB (einer der "fiesesten" Paragraphen im Erbrecht - für Laien "ungenießbar" und vielen Anwälten nicht wirklich vertraut) wurde regelrecht "durchdekliniert".

 

Nicht leicht zu lesen, dieses Oberrichter-Deutsch, aber ein Lehrbeispiel für die Anwendung der Regeln der Auslegung vonTestamenten.

 

Auf geht´s:

 

1. Erbeinsetzung durch Zuwendung der wertmäßig wesentlichen Vermögensgegenstände.

2. Zur Auslegung der Testamentklausel „... gehört Dir solange Du lebst“.

 

Am 06.01.1977 fertigte die Erblasserin folgendes an die Bet. zu 2 gerichtetes, mit Hand geschriebenes und unterschriebenes Schreiben mit folgendem Inhalt:

Testament! Liebe Schwester 06.01.1977

Ich deine Schwester möchte Dir mitteilen, wenn ich sollte einmal vor Dir sterben dass von dem Geld auf der Sparkasse wenigstens die Hälfte für gute Zwecke verwendet werden soll. Zum Beispiel Ostpriesterhilfe, Diaspora und für die Mission. Das ist mein Wille Tante E. soll ebenfalls bei Dir wohnen bleiben. Und die Eigentumswohnung gehört Dir solange Du lebst.

 

Geschrieben am Hl. 3 König 06. Januar 1977 ...“

 

Das NachlG erteilte aufgrund Beschlusses vom 15.11.1989 den beantragten Erbschein, nachdem die hierzu gehörten Bet. zu 1, 3 und 4 keine Einwendungen erhoben hatten.

Der Nachlass besteht aus Geldvermögen i. H. v. 57.000 DM und der im Schreiben v. 06.01.1977 erwähnten Eigentumswohnung in Wert von mindes-tens 80.000 DM. Die Bet. zu 1, 3 und 4 erhielten von der Bet. zu 2 aus dem Nachlass erhebliche Geldzuwendungen. Die Eigentumswohnung verkaufte die Bet. zu 2 i. J. 1996.

Mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten v. 2.07.1997 hat der Bet. zu 1 die Einziehung des Erbscheins beantragt, weil das Testament v. 6.01.1977 bezüglich des Geldvermögens keine Verfügungn zugunsten der Bet. zu 2 enthalte und diese bezüglich der Wohnung nur ein Vermächtnis erhalten habe oder Vorerbin geworden sei.

Das NachlG hat nach Vernehmung sämtlicher Bet. mit Beschluss v. 20.06.1997 den Einziehungsantrag zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung hat der Bet. zu 1 Beschwerde eingelegt, die das LG mit Beschluss v. 29.06.1998 zurückgewiesen hat. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde des Bet. zu 1, mit der er die Einziehung des Erbscheins weiter verfolgt.

 Die weitere Beschwerde ist unbegründet. ...

a) Zu Recht geht das LG davon aus, dass die Erblasserin das Schreiben v. 6.1.1977 an die Bet. zu 2 mit ernstlichem Testierwillen und in der erforderlichen Form gemäß § 2247 BGB verfasst hat. Die Erblasserin bezeichnet selbst das Schreiben als „Testament“ und bekräftigt den Charakter als Verfügung von Todes wegen mit dem Satz „Das ist mein Wille“...


b) Das LG hat das Testament v. 6.1.1977 rechtsfehlerfrei darin ausgelegt, dass die Erblasserin darin die Bet. zu 2 als Alleinerbin bestimmt hat.
(...)


c) Das LG hat, ohne sich mit der Auslegungsregel des § 2087 II BGB auseinanderzusetzen, im Ergebnis zutreffend das Testament dahin ausgelegt, dass die Bet. zu 2 als Alleinerbin eingesetzt worden ist.

(1) Nach der Auslegungsregel des § 2087 II BGB will ein Erblasser mit der Zuwendung bestimmter Gegenstände oder bestimmter Gruppen von Gegenständen im Zweifel nur über diese konkreten Gegenstände verfügen und Vermächtnisse (§§ 2147,2174 BGB) begründen, nicht aber sein Vermögen als Ganzes (§§ 1922,1937 BGB) oder zu einem bestimmten Bruchteil dem auf diese Weise Bedachten zukommen lassen.


(1.1) § 2087 II BGB enthält aber nur eine Auslegungsregel, keine gesetzliche (ges.) Vermutung (OLG Köln, FamRZ 1993,7359).

 

Die Vorschrift greift daher nicht ein, wenn ein anderer Wille des Erblassers festgestellt werden kann (BayObLG, FamRZ 1999, 59,60, m.w.N.)

Hat ein Erblasser praktisch sein gesamtes Vermögen, etwa unterteilt in Immo-biliar- und sonstige Vermögen, einer oder mehrerer Personen zugedacht, so ist, entgegen dem Wortlaut des § 2087 II BGB, regelmäßig anzunehmen, dass der Testierende eine Erbeinsetzung bezweckt hat; denn es kann nicht unterstellt werden, dass er überhaupt keinen Erben berufen wollte (vgl. BGH, DnotZ 1972,500; BayObLG, FamRZ 1995,246,248).


(1.2) Eine solche testamentarische Aufteilung des Nachlassers kann als Erbeinsetzung angesehen werden (vgl. BGH, FamRZ 1990,396,398 BayObLG, FamRZ 1992,862,864).

Allerdings müssen nicht alle Beschten auch zu Erben berufen sein. Vielmehr kann die Auslegung ergeben, dass nur eine oder einzelne der bedachten Personen als Erben eingesetzt (§§ 1937,1922 BGB), den anderen nur Vermächtnisse (§§ 1939,2174 BGB) zugewendet sind (vgl. BGH, a.a.O.; BayObLG, FamRZ 1999,59,60,m.w.N.).

 

Naheliegend ist es, als Alleinerben die Person oder Personen anzusehen, denen wertmäßig der Hauptnachlassgegenstand zugewiesen ist und als Vermächtnisnehmer die Personen, die mit Gegenständen von verhältnismäßig geringerem Wert bedacht sind (vgl. BayObLG,FamRZ 1995,246,248 und 1999,59,60).


(1.3) Insbesondere wenn eine Immobilie ihrem Wert nach den wesentlichen Teil des Vermögens bildet, liegt es nahe, in ihrer Zuwendung an eine bestimmte Person denen Einsetzung als Alleinerbin zu sehen (vgl. BayObLG, FamRZ 1997,1177,1178). Maßgebend sind die Vorstellungen, die der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung über die voraussichtliche Zusammensetzung seines Nachlasses und den Wert der in diesen fallenden Gegenständen hat (BayObLG, 1995,246,248).


(2) Nach diesen Auslegungsgrundsätzen kommt der Zuordnung der Eigen-tumswohnung an die Bet. zu 2 maßgebliche Bedeutung für die Annahme ihrer Erbeinsetzung zu. Mit einem Verkehrswert von mindestens 80.000 DM macht die Eigentumswohnung den wesentlichen Teil des Vermögens der Erblasserin aus. Dazu kommt, dass der Bet. zu 2 auch das Geldvermögen i.H. von 57.000 DM übertragen ist. Dies ergibt sich daraus, dass ihr die Auflage gemacht ist, wenigstens die Hälfte des Geldvermögens für gute Zwecke zu verwenden. Da die Bet. zu 2 diese Auflage nur erfüllen kann, wenn ihr über das Geldvermögen die Verfügungsbefugnis eingeräumt ist, wollte die Erblasserin, dass der Bet. zu 2 auch das Geldvermögen gehört.

 

Demgegenüber begründet das angeordnete Wohnrecht lediglich den schuldrechtlichen Anspruch der Tante E. auf dessen Einräummung gegenüber der Erbin (§ 2174 BGB).


d) Auch die Testamentsauslegung des LG zu der Bedeutung der Klausel „und die Eigentumswohnung ... gehört Dir solange Du lebst“ ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. ...


aa) Das LG hat in Betracht gezogen, dass in der Klausel eine Beschränkung der Erbenstellung der Bet. zu 2 liegt, die – wie aus der Bezugnahme des LG auf die erstinstanzielle Entscheidung erkenntlich – in der Anordung von Nacherb-schaft liegen könnte. Bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung, die als Anordnung einer Nacherbschaft in Betracht kommen könnte, gelten die allgemeinen erbrechtlichen Auslegungsregeln (§§133,2084 BGB)...

Entscheidend ist, ob sich der Klausel entnehmen lässt, dass die Erblasserin nach der Einsetzung der Bet. zu 2 als Alleinerbin die Weitergabe des Erbes an dritte Personen angeordnet und zu deren Sicherung die für den Vorerben gesetzlich vorgesehenen Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 f. BGB der Bet. zu 2 auferlegen wollte.

bb)Die Auslegung des LG, die Erblasserin habe der Klausel „Und die Eigentumswohnung ... gehört Dir solange Du lebst“ keine derartige rechtliche Bedeutung beigemessen, seht mit diesen Grundsätzen im Einklang. Für sie sprechen folgende Gesichtspunkte:

1. Nach dem Inhalt des Testaments hat die Erblasserin ihr Augenmerk hauptsächlich auf die wohltätige Verwendung ihres Geldvermögens gelegt und die Erfüllung dieses Anliegens in die Hände ihrer Zwillingsschwester, der Bet. zu 2, gelegt.

Sie hat keineswegs konkrete Vermächtnisse zugunsten bestimmter wohltätiger Einrichtungen angeordnet, sondern die Regelung im einzelnen in das Ermessen ihrer Zwillingsschwester gestellt und damit zum Ausdruck gebracht, sie als ihre engste Vertrauensperson anzusehen. Diese zur freien Verfügung über das Geldvermögen berechtigende Vertrauensstellung steht der Annahme eines auf Vorerbschaft gerichteten Erblasserwillens entgegen.

Es besteht kein Anhaltspunkt, dasss die Erblasserin ihrer Zwillingsschwester einerseits freie Hand über das Geldvermögen lassen wollte, andererseits aber bezüglich der Eigentumswohnung sie den Beschränkungen des Vorerben gemäß §§ 2113 f. BGB unterwerfen wollte. Von keinem der Bet. wird behauptet, dass die Halbgeschwister ein größeres Vertrauen der Erblasserin als ihre Zwillingsschwester genossen haben, so dass die Erblasserin keinen Anlass gehabt hat, die von ihr als Alleinerbin eingesetzte Zwillingsschwester in ihrer Verfügungsbefugnis zugunsten der im Testament überhaupt nicht genannten Halbgeschwister zu beschränken.


2. Die Erblasserin hat für den Fall, dass sie vor ihrer Zwillingsschwester verstirbt, eine letztwillige Verfügung getroffen, nicht aber für den Fall, dass sie nach dem Tod ihrer Zwillingsschwester verstirbt. Sie hat bei diesem Ablauf keinen Anlass gesehen, eine von der ges. Erbfolge abweichende Regelung zu treffen. Ges. Erben sind in diesm Fall ihre Halbgeschwister, die Bet. zu 1,3 und 4, die ebenfalls ges. Erben ihrer Zwillingsschwester sind. Es ist daher nahe-liegend, dass die Erblasserin von der Vorstellung ausgegangen ist, dass auch nach dem Tod der als ihre Erbin eingesetzten Zwillingsschwester die Halb-geschwister als deren ges. Erben anstehen und sie nur für die Lebzeit der Zwillingsschwester die Abfassung einer letztwilligen Verfügung als notwendig angesehen hat und dieser Vorstellung mit den Worten „... solange Du lebst“ Ausdruck geben wollte.


3. Danach hat das LG zu Recht in Erwägung gezogen, dass die Erblasserin mit der „solange Du lebst“- Klausel die wirtschaftliche Absicherung der Zwillings-schwester bis zu deren Tode im Auge gehabt hat. Dieser Intention liefe die Annahme einer Vorerbschaft zuwider, die die wirtschaftliche Absicherung im Hinblick auf die mit ihr verbundenen Verfügungsbeschränkungen (§§ 2113 f. BGB) behindern könnte.


4. Die Bewertung der „... solange Du lebst“- Klausel durch die Vorinstanzen wird durch die Entwicklung nach dem Tod der Erblasserin unterstrichen. Der Bet. zu 2 wurde am 15.11.1989 ohne Einwendung der übrigen Bet. ein Erbschein als Alleinerbin ohne Einschränkung durch einen Nacherbenvermerk erteilt. Dies haben offenbar die von NachlG bei der Auslegung des Testaments zugrunde gelegten Vorstellungen der Erblasserin geteilt. Sie haben nach Angaben der Bet. zu 1 und 4 nicht unerhebliche Geldzahlungen der Bet. zu 2 entgegen-genommen und dabei keine Zweifel zum Ausdruck gebracht, dass die Bet. zu 2 hierzu nicht berechtigt gewesen sei. ...

Mitgeteilt vom Richter am BayObLG J. Demharter. München - FamRZ 2000, S. 60-62


 

  
  
  
 
 
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