Gisbert Bultmann
Rechtsanwalt & Notar a.D.
 

Patientenverfügung & Behandlungswunsch

08. Juli 2010

 

 

Fünf Vorträge habe ich mir - von Pontius bis Pilatus reisend  - angehört über das neue Gesetz zur Patientenverfügung, einige neue Bücher und Aufsätze gelesen, Rezensionen verfolgt; ein paar Vorträge habe ich selbst gehalten, für Laien aber auch für Ärzte und Pflegepersonal, z.B. beim Elisabeth-Krankenhaus in Recklinghausen Süd und im Prosper-Hospital.

Resumee:

Wenige haben begriffen, was neu ist an dem Gesetz, das seit 1.September 2009 gilt - es ist der Beginn einer neuen Zeit für die Beachtung des Patientenwillens !

Wer eine Patientenverfügung schreibt - Patient oder Berater - muss wissen, daß schon die Überschrift zu bedenken ist:

Wer Wert legt darauf, daß seine Verfügung "auf der Höhe" des neuen Gesetzes ist, muß wissen:

der Begriff der Patíentenverfügung ist im Gesetz definiert als Einwilligung des Patienten in "bestimmte (...) Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffe" - oder eben deren Untersagung (§ 1901 a Absatz 1 BGB).

Einwilligen - oder untersagen; das ist binäres System: ein Ja - oder ein Nein ! Schließlich soll sich für den Arzt eine klare Anweisung daraus ergeben -  wie bei den Zeugen Jehovas: die lehnen Blutransfusionen kategorisch ab.

Daher ist Vorsicht geboten z.B. bei striktem Verbot der künstlichen Ernährung:unbestritten ist sie ein Segen, wenn es darum geht, nach einem Schlaganfall zeitweilige Schluckbeschwerden zu überbrücken, zum Fluch wird sie erst, wenn sie ohne Aussicht auf Besserung der Gesundheit über Monate oder gar Jahre angewendet wird.

Ist man nicht in der Lage, hier differenziert zu formulieren, ist die Patientenverfügung möglichweise unbeachtlich, weil sie nicht "auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft" (§ 1901 a Absatz 1 Satz 1 BGB).

Was dann ?

Dann liegt ein Behandlungswunsch vor im Sinne des § 1901 a Absatz 2 BGB. Dieser entfaltet nicht unmittelbar Rechtswirkung, sondern weist den Betreuer oder Bevollmächtigten an, diesem gegenüber Arzt und Krankenhaus im Dialog  (§ 1901 b BGB) "Ausdruck und Geltung zu verschaffen".

Ist ein Behandlungswunsch nicht erklärt, ist der mutmaßliche Wille des Patienten zu ermitteln, und zwar aufgrund konkreter Anhaltspunkte, "zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten." ( § 1901 a Absatz 2 Satz 2 BGB).

Das alles muss man verstehen und vermitteln, damit das neue Gesetz fruchtbar werden kann. Es entsetzt daher, wenn in einem neuen, 700 Seiten starken Handbuch über "Vorsorgeverfügungen" der neue Inhalt des Gesetzes nicht gemeistert wird.

In einer Fachzeitschrift (FamRZ 2010, S.711 ff) stellt Dr. Andreas Albrecht, selbst Autor eines Buches zur Patientenverfügung, fest, daß der Beitrag des Herausgebers des Handbuches, immerhin Prof. Dr. Volker Lipp, der auch Mitglied der Arbeitsgruppe Patientenautonomie am Lebensende, der sog. Kutzer-Kommission war, die Abgrenzung zwischen Patientenverfügung und Behandlungswunsch und den hierfür entscheidenden Begriff der Bestimmtheit nicht diskutiert (a.a.O. S. 712).

Man muß also akribisch hinschauen, ob unsere hochgelahrten Professoren nicht nur hundertseitenlange Ansichten zum neuen Recht  - zu ihrem eigenen Ruhme - verbreiten, oder ob sie für den "Endverbraucher", den Patienten oder seine Berater, praktische Formulierungen, Hinweise und Übersichten anbieten und so  HIlfe leisten, den Willen des Patienten einerseits bestimmt, andererseits geschmeidig zu formulieren !

 

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Gisbert Bultmann

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