Todesanzeigen
26. März 2019
... warum wir sie lesen
Ein Freund überraschte mich neulich mit der Aussage, er habe in letzter Zeit die Todesanzeigen hergenommen und
gerechnet, welches Durchschnittsalter die Menschen hatten, als sie starben.
Es lag bei achtzig plus irgendwas.
Warum eigentlich lesen wir die Todesanzeigen, vor allem am Wochenende, so aufmerksam ?
Die Antwort gibt uns der große Leo Tolstoi:
am Anfang seiner Erzählung "Der Tod des Iwan Iljitsch" lesen drei Freunde dessen Todesanzeige,
und Tolstoi schreibt,
"die Tatsache des Todes eines nahen Bekannten rief in allen, die davon hörten, wie immer ein Gefühl der Freude hervor.
"Er ist tot und ich lebe noch", dachte oder fühlte ein jeder."
Mit Leichtigkeit und Weisheit wird hier eine grundlegende Wahrheit ausgesprochen:
Jede Todesanzeige, die wir lesen, kündet davon, daß wir leben, aber die anderen gestorben sind - und sei es für die Statistik.
Bewegend übrigens, daß Marcel Reich-Ranicki sich - und uns - im Angesicht des eigenen Todes in einem letzten Gespräch an diese Erzählung erinnerte.