Angst
21. August 2019
Krebs ist Angst,
auf diesen Satz kann man das Wabernde und Wuchernde,
das Unheimliche und Unsichtbare dieser Krankheit reduzieren.
Krebs ist die Angst des Kranken, die aber auch die Umgebung erfasst.
Die sich in die Beziehung zu Freunden und Familie frisst.
Die sich ausbreitet, selbst wenn die Krankheit gestoppt ist.
Irgendetwas bleibt immer, Krebs ist eine Angst, die einen nie mehr verlässt.
Krebs ist das Warten, auf die Werte, die der Arzt einem präsentiert,
auf die Wiederkehr der Krankheit, die ständig droht.
Krebs befällt nicht nur den Körper,
Krebs frisst sich in den Alltag und in die Zeit.
Krebs ist eine Metapher
Bei keiner anderen Krankheit kommen die Menschen so sehr in Versuchung, sie zu erklären, zu deuten, zu psychologisieren.
Es gibt Krebsvarianten, in denen psychische Faktoren eine Rolle spielen,
es gibt Krebsvarianten, die allein körperlich sind und durch Gifte oder
Strahlungen oder etwas ausgelöst werden,
für das Schlingensief ein schönes, trauriges Wort fand:
das Nichts.
Aus dem Nichts kommt diese Krankheit,
sagte er bei Beckmann, sie ist damit das ultimative Rätsel, und weil sie oft unerklärlich ist,
wird sie mit Begriffen wie Schuld oder Strafe beladen,
sehr viel häufiger etwa als der Herzinfarkt,
als Diabetes, als Alzheimer oder Parkinson.
Krebs ist ein Drama,
ist ein Passionsspiel mit Schurken und Helden, mit Fallen und Tricks, mit List und Tücke.
Es ist der Körper, der sich gegen sich selbst, gegen uns wendet.
Krebs ist darum die unheimlichste Krankheit, weil sie uns am nächsten ist.
aus: Das Prinzip Krebs, von Georg Diez, SZ-Magazin vom 30. Apr. 2009,
jetzt auch: Der Tod meiner Mutter, SZ-Magazin vom 21. Aug. 2009
Auch die Patientenverfügung hat ihren Ursprung in der Angst,
der Angst vor Übertherapie.der Ärzte.
Man hüte sich aber, das Anliegen deswegen abzuwerten,
weil ihm Emotion und Irrationalität anhaften.